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34. Jahrgang InternetAusgabe 2000
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Monetäres Völkerrecht oder die Zähmung des Globalismus


Ursprünge * Stationen * Perspektiven: Schach der globalen Finanzkrise

Vortrag beim Workshop der Stiftung Entwicklung und Frieden am 11./12. September 1997 in Zschortau

Von Wilhelm Hankel

 

Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploitation des Weltmarktes die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet. ... Die uralten nationalen Industrien sind vernichtet worden und werden noch täglich vernichtet. ... An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr, eine allseitige Abhängigkeit der Nationen voneinander.
Karl Marx/Friedrich Engels Manifest der Kommunistischen Partei (1848)

I. Globalismus - einst und jetzt

1.Nicht das Thema ist neu sondern seine Behandlung. Ob Smith, Marx, Keynes oder Samuelson: Globalismus galt bis vor kurzem als Wohlfahrtsmaschine für alle an ihm teilhabenden Nationen, als Quelle enormer economies of scale. Die einen verdienten an der zusätzlichen Produktion fürs Ausland (Export), die anderen am Bezug der im Ausland billigeren Ressourcen (Import).

Seit es keine Weltwährungsordnung mehr gibt, sondern global freie und deregulierte Finanzmärkte, sieht man es anders. Seitdem bedrohen Währungsschwankungen, Spekulationskrisen, Abwertungswettläufe Standorte und Arbeitsplätze, verlieren zur Abwertung gezwungene Weichwährungsländer ihr bißchen Kapital (Ersparnisse) an die kleine Gruppe aufwertender Hartwährungsländer. Nur daß Wohlfahrtsgewinne aus Kapitalzufluß und verbesserten terms of trade diese nicht froh machen; statt sich ihres so erhöhten Realeinkommens zu erfreuen, klagen sie über ihre Wettbewerbsverluste im internationalen Geschäft: bei Export wie Direktinvestitionen. Aus der Wohlfahrtsmaschine von einst ist der Standortentwerter und Jobkiller von heute geworden.

2.Globalismus ist also nicht immer dasselbe zu allen Zeiten. Er verändert mit diesen seine Funktion und Bewertung. Wirklich?

Es fällt auf - oder sollte es wenigstens - , daß es ja nicht die realwirtschaftliche Seite des Globalismus ist, die stört: sein Volumen, seine Dynamik, die dramatische Zunahme seiner Produkte und Teilnehmer - verglichen mit jener guten alten Zeit (sie erstreckte sich über Jahrhunderte), da man Fernhandel auf das runde Dutzend exquisiter Luxusprodukte beschränkte, die (wie Edelmetalle, Gewürze oder andere Raritäten) teuer genug waren, die exorbitant hohen Transportkosten und -risiken zu tragen. Zu jedem Markt gehört Wettbewerb, zum Weltmarkt eben Welt-Wettbewerb. Das Unbehagen am Globalismus entzündet sich darum auch nicht daran, daß dank der revolutionären Verbilligung der Transport- und Kommunikationskosten - immer mehr ehemalige Binnenhandelsgüter welthandelsfähig und immer mehr frühere Binnenökonomien - dank Eigenentwicklung und Weltmarktintegration - zu Welthandelspartnern geworden sind. Nicht der in der Tat noch nie dagewesene Globalismus der Gütermärkte wird als Bedrohung der nationalen Standorte und ihrer Vollbeschäftigung empfunden, sondern einzig und allein das monetäre und finanzielle Erscheinungsbild der neuen Weltwirtschaft.

Das aber ist neu und erstaunlich zugleich - denn in der alten Globalismus-Debatte war vom Bedrohungscharakter und Störpotential der globalen Geld- und Finanzmärkte nie die Rede; und sind es nicht gerade die Finanzmärkte, die weit mehr noch als die Gütermärkte einen fast hundertprozentigen Globalisationsgrad aufweisen, nämlich in einem 24-Stunden-Service rund um den Globus und rund um die Uhr? Haben die alten Globalismus-Analytiker das Problem nicht gesehen, oder gab es dieses früher nicht?

3.Ist es Zufall, daß Völkerrecht und Vakuum zeitgleiche Erfindungen sind? Um die Mitte des 17. Jahrhunderts wies Otto von Guericke nach, daß es im luftleeren Raum keine Naturabläufe geben könne, und Hugo de Groot stellte fest, daß es im staatsfreien Raum der Ozeane keine Gesetze geben könne sondern nur Faustrecht und Piraterie. Die mit diesen Natur- und Rechtslehren groß werdende klassische Ökonomie schloß von hier zurecht auf die für jedes Wirtschaften konstitutiven Rahmenbedingungen. Um Willkür in Wettbewerb zu verwandeln, brauche man Gesetze. Und um bei Tausch, Sparen, Kreditieren und Investieren rechnen zu können, brauche man ein sicheres, wertstabiles Geld.

Es war David Ricardo, der den zweiten Punkt am schärfsten faßte. Inflation war nicht nur ein Geschöpf des Krieges, des damaligen Weltkrieges gegen Napoleon. In seiner heftigen Kontroverse mit Henry Thornton hatte er begriffen, daß Inflation endemisch oder systemimmanent wird, wenn Banken ihr eigenes Geld drucken können, was zu damaliger Zeit der Brauch war.[1] Also mußte man Gelddrucken und Geldverteilung trennen. Nachdrücklich wie kein anderer Ökonom seiner Zeit trat er für die Herausnahme der Geld- und Kreditversorgung einer Volkswirtschaft aus der Marktwirtschaft ein.

Das Geldangebot war durch eine vom Markt (und später auch vom Staat) zu trennende Sonderinstanz - die Zentralbank - bereitzustellen: extern und exogen, wobei der Geldschöpfer selber wiederum unter die strenge Kontrolle von Gesetz und Statut zu stellen war.[2]

Aber erst John Stuart Mill war es vorbehalten, aus dieser streng nationalen Geldmengenregel und -begrenzung ein internationales System zu machen: den Goldstandard des 19. Jahrhunderts. Mill hatte ihn nicht einmal intendiert. Er ergab sich folgerichtig aus Ausbreitung und Anwendung der britischen Zentralbank-Gesetzgebung auf fast alle an der damaligen Weltwirtschaft beteiligten Nationen - mit der einen großen Ausnahme der USA, die trotz Mills eindeutigem Sieg in der Currency-Banking-Debatte in den 1840er Jahren am unterlegenen Banking-Prinzip festhielten (vermutlich aus antibritischem Ressentiment) und ihren Banken weiterhin erlaubten, ihre Greenbacks selber zu drucken, nahezu frei von jeder Kontrolle. Erst am Vorabend des Ersten Weltkriegs brachen die USA ihr free-banking-and-printing-Experiment ab und schufen mit dem Federal Reserve Act einen ehrbaren, von einer Zentralbank emittierten und kontrollierten Dollar.[3] Man macht sich heute nicht mehr genug klar, was Mills Sieg in der Currency-Banking-Debatte verfassungs- und ordnungspolitisch bedeutete - nicht nur für England, sondern den Liberalismus in aller Welt.

Mill hatte die Geltung der Marktgesetze auf die Güterwelt beschränkt. In Sachen der Geld- und Kreditversorgung herrschte statt des Marktes der Gesetzgeber und als sein Arm die Zentralbank. Denn ein im Markt selber entstehendes Geld (das Kredit-Geld der Banking-Schule oder richtiger -lobby) mache Banken zu Selbstbedienungsläden und Willküreinrichtungen, und es gefährde den Goldschatz der Nation, denn inflationsbedingte Leistungsbilanzdefizite jagten Gold und Kapital aus dem Lande. Im Rückblick ist interessant, daß Mill nicht mit der Verteilungsungerechtigkeit der Inflation argumentierte. Befangen im Dichotomie-Denken seiner Zeit - das er von seinem Vater James übernommen hatte - glaubte er allen Ernstes, daß jeder Geldbenutzer durch den »Geldschleier« hindurchsehen und seinen privaten Feldzug gegen die Inflation führen würde; die Inflation würde das Nutzengleichgewicht nicht stören! Wichtiger aber war sein ordnungspolitisches Credo: Die Freiheit der Gütermärkte und des Handelsverkehrs könne (und werde) um so größer ausfallen, je konsequenter man die Geldwirtschaft staatlich, rechtlich oder durch normative Regeln kontrolliere.[4]


II. Über Goldstandard, Bretton Woods und freie Finanzmärkte

1.Der Sieg der Currency- über die Banking-Schule - symbolisiert durch Peels Bank Act von 1844, das im Prinzip bis heute fortgeltende Statut der Bank von England - wurde zum Nukleus und Motor des internationalen Goldstandards, des ersten Versuchs eines monetären Völkerrechts. Streng genommen war es ein nationales System, aber da es für alle führenden Welthandelsnationen galt, avancierte es zum Weltsystem.

Wenn jede Währung - nach britischem Vorbild - nur ein nationaler Name für eine bestimmte (im Münzgesetz festgelegte) Goldmenge war, wobei der Goldpreis (per Unze) durch die Interventionspolitik der Bank of England an ihrem Londoner Goldmarkt (dem führenden der Welt) festgelegt wurde - er lag fast ein Jahrhundert lang unverändert bei 3 Pfund 17 Shilling 9 Pence -, dann lagen mit den Goldparitäten auch die externen Geldwerte oder Wechselkurse fest. Es gab also ein Weltgeld, das Gold, das als unterschiedliches Papiergeld in aller Welt umlief, aber durch feste (quasi metrische) Umrechnungskurse verkettet war. Bei einem Goldgehalt des Pfundes von 9 Gramm und eines des Thalers von 3 Gramm Gold - gesetzlich geregelt - wußte jeder, daß 3 Thaler 1 Pfund und 1 Thaler 1/3 Pfund waren und blieben; denn Münzgesetze waren zwar durch Parlamente, aber nicht durch Märkte zu ändern.

Es war ein nationales System, das dennoch internationale Stabilität garantierte, obwohl es über keinerlei internationale Aufsichts- und Kontrollorgane verfügte: keinen IWF, keine Welt-Zentralbank, kein überstaatliches Geld: weder Euro noch SZR. Seine Stabilität verdankte es der strikten Einhaltung nationaler Gesetze und Deckungsvorschriften und dem Vertrauen der Finanzwelt in die Verläßlichkeit des Systems. Tatsächlich spielten Währungsauf- und -abwertungen im Kreis der Goldwährungsländer zwischen 1844 und 1914 keine Rolle; sie kamen lediglich an der Peripherie vor: in Nord- und Südamerika.

Schwachpunkt des Systems war seine Blindheit gegenüber internen (nationalen) Preis- und Beschäftigungsschwankungen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg plädierten führende Geld-Theoretiker (wie K. Wicksell und I. Fisher [5]) für den Ersatz der Golddeckung und Wechselkursorientierung durch eine am Preisniveau orientierte Indexwährung. Dennoch scheiterte das System in der Zwischenkriegsphase nicht etwa an den damaligen, keineswegs auf Deutschland beschränkten Inflationsexzessen. Es scheiterte 1931 an der Unfähigkeit Englands, seine alte Rolle als Weltbankier mit einem goldgedeckten Pfund Sterling weiter zu spielen und gleichzeitig die interne Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die Golddeckung verlangte Hochzins-, die interne Beschäftigungslage Tiefstzins-Politik - ein Konflikt und Webfehler im System, auf den der schon damals junge Keynes unermüdlich hingewiesen hatte.[6] Mit dem Zusammenbruch des Goldstandards 1931 bekam er recht.

2.Erst mit dem Bretton-Woods-System der Nachkriegszeit begegnen wir dem ersten Versuch eines genuinen monetären Völkerrechts. Wechselkurse und Währungsparitäten werden nicht intern fixiert - durch nationale Münzgesetze und Deckungsregeln -, an ihre Stelle treten völkerrechtliche Verträge mit einer überstaatltichen Ordnungs- und Kontrollinstanz: dem IWF.

Trotzdem bleiben Geldverfassung und -politik auch im neuen System national. Sie sind auf nationale Ziele gerichtet, sei es Preisniveau- oder Beschäftigungsstabilität - eine Orientierung, die auch dann erhalten bleibt, wenn alle Hilfen zur Überbrückung temporärer Leistungsbilanzungleichgewichte (IWF-Fazilitäten) ausgeschöpft sind. Denn dann darf als quasi ultima ratio sowohl ab- wie aufgewertet werden - freilich nach Abstimmung und unter Kontrolle des IWF. Tatsächlich hat es in der Zeit der Bretton-Woods-Ära (zwischen 1945 und 1973) hunderte von Abwertungen in Ländern der Dritten Welt und Dutzende von Aufwertungen in den westlichen Industrieländern gegeben.

Gescheitert ist das System somit nicht an der ihm unterstellten Rigidität der Wechselkurse (Fix-Kurs-System), denn diese hat es nie gegeben. Gescheitert ist es auch nicht an der alten Konfliktsituation und -konstellation des Goldstandards von 1931: daß man nicht gleichzeitig Wechselkurse und Beschäftigung stabilisieren konnte. Denn die Beschäftigungsstabilisierung hatte in allen IWF-Ländern den Vorrang vor der Wechselkursstabilität.

Der Zerfall des Bretton-Woods-System zwischen 1971 und 1973 läßt sich nur konstitutionell erklären: aus der Ohnmacht seiner supranationalen Spitze (dem IWF) gegenüber dem eigentlichen »Weltbankier« und Anbieter der Leitwährung - den USA und ihrem sowohl nationalen wie internationalen Dollar-Monopol. Denn der US-Dollar war beides: sowohl Hilfsgeld des IWF wie Kredit- und Schuldengeld der USA. Und es war seine Doppelfunktion - vor der Keynes in seinen »Proposals« von 1941-1943 (der Blaupause für das System [7]) permanent, aber vergeblich gewarnt hatte -, die es dem IWF verbot, erstens eine Abwertung des Dollar zu erzwingen, die viele seiner Mitglieder als Voraussetzung für ihr Verbleiben im System verlangten, zweitens eine Finanzierung der kräftig anschwellenden Leistungsbilanzdefizite der USA (Folge ihres defizitär finanzierten Vietnam-Krieges) zu unterbinden. Eine generelle Abwertung des US-Dollar hätte selbst die schwächsten aller Entwicklungswährungen noch aufgewertet und ihre innere Krise verschärft. Und der IWF konnte keine einstweilige Verfügung gegen die USA erlassen, das Notendrucken zwecks Defizitfinanzierung einzustellen, denn die Geldhoheit war und blieb national.

Man kann von Ohnmacht des IWF oder spiegelbildlich Machtmißbrauch oder Regelverstoß der monetären Führungsmacht, den USA, sprechen. Das Bretton-Woods-System steht für einen ersten, aber offenbar zu kurz geratenen Schritt in ein monetäres Völkerrecht. Dem Träger des Systems, dem IWF, fehlte es - und fehlt es bis heute - an einer eigenen Sanktionsgewalt, auch gegenüber starken Mitgliedern. Er hätte sie automatisch erhalten, wenn man ihm ein systemeigenes, das Gold im alten Goldstandard ersetzendes Deckungsmittel oder Konvertierungsgeld - ein Mittel »letzter Liquidität« zugestanden hätte. Denn dann wären alle Währungen - einschließlich des US-Dollar - abwertbar gewesen oder geworden: einen »bancor« oder SZR, das - anders wie der Euro nationales Geld nicht ablöst und verdrängt, sondern nur vergleichbar, wertsicher und stabil macht.[8]


III. Regionalismus als Ersatz für Globalismus: Euro oder SZR?

1.[9] Welche Lehren im Einzelnen lassen sich aus dem Zusammenbruch von Goldstandard (definitiv 1931) und Bretton-Woods-System (definitiv 1973) ziehen?

England mußte seine Führungsposition im Goldstandard im Herbst 1931 aufgeben, weil es angesichts der Krise und Massenarbeitslosigkeit die Blockierung seiner Zinspolitik für Zwecke der Pfundstabilisierung nicht länger aufrechterhalten konnte. Seine Krise, die bereits 1926 (mit der Rückkehr des alten Pfundes zur Vorkriegsparität und dem Generalstreik der Bergarbeiter) begonnen hatte, verlangte ganz einfach eine im Inland aktive Konjunktur- und Beschäftigungspolitik. Keynes hatte auf diesen Konflikt zwischen externer und interner Zinspolitik unermüdlich hingewiesen und auch das alte Bagehot-Verdikt (»Nicht Zinsen sind falsch, sondern Wechselkurse«[10] in Frage gestellt. Denn seiner Meinung nach war die Wiederherstellung der alten Pfund-Parität auf der Basis des alten Goldpreises der entscheidende Fehler, den der damalige Schatzkanzler Winston Churchill zu verantworten hatte.[11] Es war der im Goldstandard nicht zu lösende Konflikt zwischen Wechselkurs- und Beschäftigungsorientierung im Krisenfall, der das System definitiv beendete.

2.Der Kollaps des Bretton-Woods-Systems läßt sich nicht so einseitig erklären. Schließlich verstand sich ja das neue System als Reaktion auf den Verlust des alten und hatte von Beginn an einen Kompromiß zwischen den Zielen der externen Wechselkurs- und internen Beschäftigungsstabilität angestrebt - wie schon gesagt: über ausreichende stand-by-Kreditfazilitäten des IWF und die ultima ratio der erlaubten Währungsabwertung. Waren diese eingebauten Elastizitäten zu gering? Im Rückblick drängt sich ein ganz anderer Aspekt auf. Das System war erstens (zu) US-Dollar-zentrisch: Alle Partner waren gezwungen, im Falle einer US-Inflation diese zu übernehmen. Die vorgesehene Abwertungsoption bot zwar Schutz vor »importierter Depression«, aber die ursprünglich nicht vorgesehene Aufwertungsoption verdammte alle Partner zu »importierter Inflation«, gegen die sie sich zu wehren begannen - zumal als die USA dazu übergingen, ihr Vietnamkriegs-Defizit auf diese Weise auf ihre Verbündeten abzuwälzen, unter dem Motto »sharing the burden«. Dennoch war es zweitens nicht nur dieser Mißbrauch der US-Führungsposition, der das System zu Fall brachte. Der Fehler saß tiefer. Man hatte sich auf die Fixierung nominaler Wechselkurse zwischen den Währungen geeinigt und damit das Inflationsproblem generell negiert. Denn nicht nur die USA inflationierten munter bei festen Wechselkursen. Es war die Mehrheit aller Länder im System, besonders natürlich die Mehrheit der Entwicklungsländer. Infolgedessen wurde nicht nur der Wechselkurs des US-Dollar als »falsch« empfunden, sondern die Mehrheit der übrigen Wechselkurse auch!

Und ein Drittes kam hinzu. Das System hatte - vermutlich aus historischer Gedankenlosigkeit - die alten, viel zu starren Wechselkursbandbreiten des Goldstandards übernommen, als die Goldpunkte nur um 1 Prozent schwankten; viel zu wenig angesichts der modernen Massenumsätze an den Devisenmärkten.

Was also wurde Bretton Woods zum Verhängnis? Erstens die Fixierung auf nur eine Leitwährung, den US-Dollar, zweitens die Ausblendung der Binneninflationsraten der Teilnehmerländer, drittens die viel zu engen Bandbreiten tolerierbarer Wechselkursschwankungen.

3.Nach dieser Fehleranalyse wird klarer, wie ein modernes, die alten Bruchstellen vermeidendes Weltwährungssystem beschaffen sein müßte.[12] Es hätte sich

erstens auf alle führenden Weltwährungen zu stützen; im Minimum US-Dollar, DM, Yen, Pfund-Sterling - aber warum nicht auch Französische Francs und Schweizer Franken? Es sollte im Prinzip offen sein für alle Währungspartner, die seine Regeln akzeptieren;

zweitens auf »reale« Wechselkurse zu beziehen statt auf nominale; es wäre also zwingend, entweder die »hinter« den Wechselkursen laufende Inflationsrate in Grenzen zu halten - oder offen abzuwerten. Ein solches System fester realer Wechselkurse wäre glaubhaft, verläßlich berechenbar und einsturzsicher. Und trotzdem behielten alle Partner ein Mindestmaß an innerer Autonomie und Gestaltungsfreiheit. Sie wären Partner, nicht Sklave des Systems;

drittens auf Bandbreiten der möglichen Auf- und Abwärtsschwankungen zu verständigen, die »realistisch« sind, also statt 1 Prozent, sagen wir 3 bis 5 Prozent nach oben wie unten. Man würde das System »atmen« lassen, seine Anpassungslasten und -pflichten begrenzen und Markt und Politik verzahnen. Es wäre dies ein System ganz anderer Art als das des Euro und der EZB. Es wäre erstens global statt regional, zweitens aber eine echte Währungsunion und keine Währungs«fusion« wie die in Europa. Jeder Partner behielte sein nationales Geld, seine eigene Zentralbank, seine geld- und währungspolitischen Instrumente. Er wäre nur verpflichtet, im Zusammenspiel mit seinen Partnern für real-feste Wechselkurse innerhalb der festgelegten Bandbreiten Sorge zu tragen. Die Einschränkung seiner monetären Souveränität wäre nicht total - wie im Falle Europa. Sie wäre relativ, beschränkt auf Partner, bezogen auf die Option, entweder die Wechselkurse von innen her zu stabilisieren (durch Inflationsbekämpfung) oder abzuwerten, und wäre gemildert durch die große Bandbreite.

Was mit einem solchen Währungssystem, geboren aus den Lehren von Goldstandard und Bretton Woods, an globaler Sicherheit zu gewinnen ist oder wäre - das soll uns abschließend beschäftigen.


IV. Makropolitik im Globalismus: Keynes neu durchdacht

1.Das neue Bretton Woods wäre eines der organisierten und institutionell verfestigten Zusammenarbeit der führenden Weltwährungsländer, ein echtes monetäres Völkerrecht mit offener Zutrittschance für den Rest der Welt, im Prinzip ein G-7-Konzept. Denn fünf von ihnen, nämlich USA, Deutschland, Japan, England und - wenn es will - Frankreich wären ohnehin angesprochen, während Kanada und Italien derzeit wohl kaum an den mit dem System verbundenen Pflichten brennend interessiert sein dürften.

Die Partner vereinbaren entweder untereinander oder über den IWF, dessen Mitglieder sie sind und bleiben, ein einfaches Schema wechselseitiger Kursstabilisierung - nach dem Muster des am Vorabend des Zweiten Weltkriegs geschlossenen Tripartite Agreement, damals zwischen den USA, England und Frankreich, dem eigentlichen Nukleus des späteren Bretton-Woods-Systems. Jeder Partner hilft jedem anderen bei der Stabilisierung der zuvor festgelegten realen Wechselkurse zinspolitisch, indem er bei Aufwertung der eigenen Währung (am oberen Rand der Bandbreite) die Zinsen senkt, bei Abwertung (am unteren Rand der Bandbreite) die Zinsen erhöht, so daß sich Zins- und Wechselkursbewegung invers verhalten. Mehr ist nicht nötig, denn einer zusätzliche Abschreckung auf destabilisierende Spekulationskräfte bedarf es nicht: Erstens nimmt die Spekulationslust und -notwendigkeit bei real stabilen Wechselkursen ohnehin ab, zweitens würde sie bei inverser Zinspolitik hinreichend bestraft, denn die Kreditfinanzierung terminlich offener Positionen würde ganz schön teuer!

Prüfen wir die Konsequenzen eines solchen, sich auf »monetäres Völkerrecht« der Nationen stützenden Globalmodells.

Erstens: Die Weltwirtschaft würde mit einem Schlag stabiler, betriebssicherer, berechenbarer. Wechselkursschwankungen unter ihren Hauptakteuren hörten auf und gehörten der Vergangenheit an. Sie wären weder Waffe im Handelskrieg noch in der Standortkonkurrenz. Zwar kann nicht ausgeschlossen werden, daß periphere Länder weiterhin Inflations- und Abwertungspolitik betreiben - doch deren »Nutzen« für die Betreiber dieser Politik nimmt ab, weil Investoren aus Hartwährungsländern sich zurückhalten würden; sie bleiben bei abnehmendem Aufwertungsdruck zu Hause und sehen deutlicher als bisher das reale und nominale Verlustrisiko in diesen Ländern. Volumen und Volatilität der globalen Finanzmärkte bilden sich zurück, denn mit dem schwindenden Währungsrisiko verringern sich auch Absicherungs- und Spekulationsbedarf. Wie zuvor in Goldstandard und Bretton-Woods-System trocknen die Termin- und Derivatemärkte die heutige »Wachstumsindustrie« im internationalen Finanzgeschäft - allmählich aus. Güter- und Geldumsätze laufen wieder parallel, die internationale Crash-Gefahr klingt ab.

Zweitens: Die großen Industrie- und Exportnationen gewinnen - bei so geordnetem Globalismus - einen Großteil ihrer verlorengegangenen Souveränität zurück. Gewiß: Ihre Zinspolitik als ultima ratio der Wechselkursstabilität wird niemals ganz und hundertprozentig frei zur Bekämpfung innerstaatlicher Probleme, sei es Depression und/oder Inflation. Aber sie fällt auch nicht, wie beispielsweise im Euro-Modell, zu hundert Prozent aus!
Im monetär geregelten Globalismus kommt es nämlich

a) zu einer »symmetrischen« Verteilung der Anpassungslasten bei Wechselkursdruck auf Schuldner- und Gläubigernationen, denn die »Aufwerter« helfen den »Abwertern« durch entgegenkommende Zinssenkung, wodurch sich deren Restriktions- und Deflationsdruck ganz entscheidend mildert;

b) verbleiben - eben dank der wieder klaren »Zuordnung« (assignment) der monetären Instrumente auf letztlich monetäre Ziele (Wechselkursstabilisierung, Inflationsbekämpfung) - den Staaten alle übrigen Instrumente der Makropolitik erhalten. Sowohl Fiskalpolitik wie Einkommenspolitik der Sozialpartner stehen voll zur Disposition von reinen Inlandszielen: wirtschaftliches Wachstum, hoher Beschäftigungsstand, Sozialausgleich. Ein Interessenkonflikt zu den externen Zielen des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts besteht nicht mehr.

2.Wir kommen daher zu dem Schluß: Erst im monetär geregelten Globalismus, einem System monetären Völkerrechts, wird es wieder möglich sein, eine sowohl von inneren Widersprüchen freie wie auf die sozialstaatlichen Ideale ausgerichtete Makrowirtschaftspolitik zu betreiben. Es ist oder wäre dies eine Politik, die sowohl der Keynes<schen Botschaft, daß Vollbeschäftigung keine Markt-, sondern eine makropolitische Größe ist und - von Ausnahmesituationen abgesehen - auch immer bleiben wird, wie auch dem Tinbergen-Gebot entspricht, wonach rationale Politik sich immer dadurch auszeichnet, daß sie die Ziele und die Instrumente dieser Politik in ein zweckadäquates Verhältnis bringt.[13]

Es war Keynes, der mitten im Zweiten Weltkrieg erkannte, daß sich seine große Vision der mit wirtschaftspolitischen Mitteln verwirklichten Vollbeschäftigung in einem Land für alle Länder der einen Weltwirtschaft nur dann erreichen läßt, wenn man die internationalen (globalen) Geldmärkte und Systeme genauso ordnet und einbindet wie die nationalen auch - genauso, wie es hundert Jahre vor ihm David Ricardo und John Stuart Mill (konträr zum liberalen Zeitgeist) angedacht hatten. Seine Bretton-Woods-Proposals der Jahre 1941 bis 1943 waren nicht nur das Anschlußkapitel an seine »General Theory«, sondern auch sein Brückenschlag zum Kosmopolitismus der ökonomischen Klassik - gedacht für die »eine Welt«, die er als Folge und Frucht des Zweiten Weltkriegs heraufkommen sah. Das kommunistische Schisma hat diese eine Welt um ein halbes Jahrhundert verzögert. Jetzt erst bricht das »Keynesianische Zeitalter« an, auch wenn es die meisten (auch viele Linke) noch nicht bemerkt haben. Deswegen werden auch Keynes< Proposals wieder aktuell, freilich aktualisiert um die Erkenntnisse, die wir seitdem gemacht haben.[14]

Literatur

[1]Henry Thornton AN ENQUIRY INTO THE NATURE AND EFFECTS OF THE PAPER CREDIT OF GREAT BRITAIN (1802), London 1962, hrsg. von F.A. Hayek (siehe hierzu Hayeks Vorwort).
[2]David Ricardo PROPOSALS FOR AN ECONOMICAL AND SECURE CURRENCY; WITH OBSERVATIONS ON THE PROFITS OF THE BANK OF ENGLAND AS THEY REGARD THE PUBLIC AND THE PROPRIETORS OF BANK STOCK, London 1816. THE WORKS OF DAVID RICARDO, hrsg. von J.R. McCulloch, London 1852
[3]Wilhelm Hankel VOM KRIEGSKIND ZUM WÄHRUNGSKÖNIG - EIN PORTRAIT DES US-DOLLAR, in: NZZ Folio Nr. 8/1997, S. 7ff
[4]John Stuart Mill PRINCIPLES OF POLITICAL ECONOMY WITH SOME OF THEIR APPLICATIONS TO SOCIAL PHILOSOPHY Vol. II (9th Ed.), London 1886
[5]Knut Wicksell GELDZINS UND GÜTERPREISE. Berichtigter Neudruck der Ausgabe Jena 1898, Aalen 1967 / Irvi Fischer DIE KAUFKRAFT DES GELDES, Berlin und Leipzig 1926
[6]John Maynard Keynes THE ECONOMIC CONSEQUENCES OF MR. CHURCHILL, London 1925. Es handelt sich um die erste Analyse einer monetär importierten Deflationskrise - ähnlich der heutigen nach der Superaufwertung der DM in der Post-Bretton-Woods-Ära.
[7]John Maynard Keynes PROPOSALS FOR AN INTERNATIONAL CURRENCY UNION in »THE IMF: 1945-1965, Vol. II ed. by J.K. Horsefield, Washington DC 1969
[8]Wilhelm Hankel AUSWEG AUS DER GLOBALISMUSFALLE? WIRTSCHAFTSPOLITIK IM GLOBALISMUS, Jahrbuch für Arbeit & Technik 1997, Friedrich-Ebert-Stiftung, hrsg. von Werner Fricke S. 326ff
[9]Das Folgende s. auch in Wilhelm Hankel AUSWEG AUS DER GLOBALISMUSFALLE? ... a.a.0.
[10]Walter Bagehot LOMBARDSTREET. DER WELTMARKT DES GELDES IN DEN LONDONER BANKHÄUSERN, Leipzig 1874
[11]John Maynard Keynes a.a.0. (s. Fußnote [6])
[12]C. Fred Bergsten, C. Randall Henning GLOBAL ECONOMIC LEADERSHIP AND THE GROUP OF SEVEN. Institute for International Economics, June 1996, Washington DC
[13]Jan Tinbergen ON THE THEORY OF ECONOMIC POLICY, Amsterdam 1952
[14]Wilhelm Hankel J.M.KEYNES: LEHREN AUS DER ERSTEN UND ZWEITEN WELTWIRTSCHAFTSKRISE in: W. Franz, W. Gaab (Hrsg.) »Theoretische und angewandte Wirtschaftsordnung«, Festschrift für Heinz König, Heidelberg 1988, S. 21ff

Prof. Wilhelm Hankel, heute im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften  (Entwicklungs- und Währungspolitik der Universität Frankfurt am Main, war früher bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) in Frankfurt, Staatssekretär im Finanzministerium und Chef der Hessischen Landesbank.